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Heute schreibe ich über… meine Oma {1}

Meine Oma hatte immer Bonbons in ihrer Manteltasche. Wenn wir spazieren gingen, drückte sie uns heimlich einen oder zwei in die Kinderhände. Die kleinen Schubladen des Einkaufsladens im Obergeschoss füllte sie vor unseren Besuchen auch immer mit Süßigkeiten auf, sodass wir etwas zum (Ver-)Kaufen und zum Naschen hatten. Und wenn wir uns dann wieder auf den Heimweg machten, bekam jedes Kind eine Tüte voll mit Süßigkeiten. Ein Teil davon war schon seit einer Weile abgelaufen, darauf musste man achten, aber es war jedes Mal ein Fest!

Bei Oma gab es immer die ganzen süßen Getränke, die es zu Hause nicht gab. Sie kochte und backte extra das, was wir am liebsten mochten – für mich gab es Schwarzwälder Kirschtorte! In Erinnerung bleiben werden mir auch die Spargel-Schinken-Röllchen, der selbst gemachte Fleischkäse und natürlich die Stadtwurst! Nur das „Kirschenmännle“ mochten wir Kinder nicht, die gab es also nur das eine Mal…

Wenn wir bei den Großeltern zu Besuch waren – jedes Jahr für mindestens eine Woche in den Sommerferien – freuten wir uns auf die großen Roller in der Garage. Mit denen fuhren wir die Straße vor dem Haus auf und ab. Oma reichte uns Getränke aus dem Küchenfenster wie aus einem Kiosk, das haben wir geliebt! Es gab aber nicht nur Süßkram, denn im Garten wuchsen unter anderem Karotten (die bei den Großeltern „Gelberüben“ hießen), Himbeeren und Johannisbeeren. Das Obst naschten wir immer mal nebenbei, und die Gelberüben holte Oma für uns aus dem Garten, wusch die Erde ab und kratzte sie dann noch ein bisschen mit dem Messer ab. Nie haben mir Karotten besser geschmeckt als diese!

Wir halfen auch mit bei der Arbeit, saßen im Sommer auf der Terrasse und schnippelten Bohnen oder entsteinten Kirschen. Opa half auch mit, war allerdings nicht so gründlich wie wir: In seinen Kirschgläsern fanden sich immer die meisten Steine!

De Ausflüge in den Wald oder ins Schwimmbad machte Opa mit uns, da begleitete die Oma uns nie. Aber wenn wir zurückkamen, erwartete sie uns schon, hatte Essen vorbereitet und das warme Wasser angestellt, damit wir duschen konnten.

Meine Oma sang gerne und viel, mit einer hohen, leicht zittrigen Stimme, so schön! In ihrer Familie mit den insgesamt zwölf Kindern wurde viel gesungen, und so war sie auch sehr textsicher, wusste immer noch eine Strophe mehr.

Abends beteten wir zusammen mit Opa und Oma vor dem Schlafengehen. Ihr Gebet schloss sie immer mit einem Bibelvers ab: „Herr, bleibe bei uns, denn es ist Nacht geworden, und der Tag hat sich geneiget.“

Mich nannte sie liebevoll „Rebbilein“, und wir alle waren die „Kinderlein“, und wenn ich neben ihr saß, legte sie mir die Hand aufs Knie. Wenn wir spazierten, nahm sie meine Hand. Und wenn Oma sich freute, klatschte sie beide Hände vor der Brust zusammen – diese Geste vergesse ich nie.

In der Küche gab es ein besonderes Besteck-Set – das Kinderbesteck, einen Löffel und eine Gabel mit gold-glitzernden Griffen. Dieses Besteck mochte ich ganz besonders und freute mich immer schon darauf, wenn wir zu den Großeltern fuhren. Als wir das letzte Mal bei ihr im Haus zu Besuch waren, schenkte Oma mir den Löffel und die Gabel – für mich ganz besondere und wertvolle Erinnerungsstücke.

Leider habe ich nicht viele Fotos von meiner Oma, geschweige denn von mir zusammen mit meiner Oma. Auch wenn wir in meiner Kindheit recht viel Zeit bei den Großeltern verbrachten, wurde so gut wie nichts davon fotografisch dokumentiert (was damals sicher eher normal war, in den analogen Foto-Zeiten). Ich weiß gar nicht, ob meine Großeltern überhaupt einen Fotoapparat besaßen…

Lange Zeit dachte ich nicht darüber nach, aber heute finde ich es schade und versuche, es bei meinen Kindern anders zu machen: Ich fotografiere unseren Alltag, versuche, auch mal mit auf den Fotos aufzutauchen, und ich mache Bilder von meinen Kindern mit ihren Großeltern – als eine wertvolle Erinnerung.

Meine Oma hatte lange Haare und einen Dutt, bis zum Schluss. Ich erinnere mich daran, dass sie – als wir noch Kinder waren – morgens an ihrer Frisierkommode saß und sich die Haare bürstete. Das sah so schön aus! Auf der Frisierkommode lag ihre Bürste und daneben stand ein Fläschchen 47-11. Meine Oma war eine schöne Frau, vor allem natürlich auf den alten Fotos, als sie noch jung war, aber auch später noch. Schön, aber sehr bescheiden und nicht eitel. So war sie erzogen worden, und so hatte es auch mein Opa gewollt: Meine Oma trug immer Röcke und Blusen, in einer Hose habe ich sie nie gesehen.

Als mein Opa meiner Oma zum ersten Mal begegnete (passenderweise auf einer Missionskonferenz), wusste er sofort: „Diese Frau will ich heiraten – diese und keine andere!“ Er wusste nicht einmal ihren Namen; für ihn war es Liebe auf den ersten Blick! Oma war zuerst sehr zurückhaltend und blieb auch noch lange beim „Sie“, während für Opa schon alles völlig klar war.

Vier Kinder brachte meine Oma zur Welt, mit einem Abstand von je zwei Jahren. Nach den Geburten musste sie immer bald schon wieder in der Metzgerei mithelfen. Das fiel ihr schwer, aber es half alles nichts: Augen zu und durch, nicht weiter darüber nachdenken, sich nur nicht beschweren, sondern einfach immer weiter machen.

Meine Oma konnte gut nähen – das war das, was sie gelernt hatte, auch wenn sie (soweit ich weiß) nie als Schneiderin gearbeitet hat. Manchmal nähte sie etwas für uns, zum Beispiel eine Schürze, und ich fand es faszinierend zu sehen, was sie alles in ihrem schönen Nähkästchen aufbewahrte. Solange ihre Augen es zuließen, und wenn sie die Zeit dafür fand, mochte Oma es auch, zu sticken und andere Handarbeiten zu erledigen.

Meine Oma war immer ruhig und freundlich. Uns Kinder hat sie nie geschimpft, und ich habe auch nie gehört, dass sie mit jemand anderem stritt oder unfreundlich wurde. Für mich war sie der sanftmütigste Mensch, dem ich je begegnet bin. Sie wirkte auf mich auch meistens fröhlich – sehr oft summte und sang sie vor sich hin.

Meine Oma konnte nicht stillsitzen. Vor allem nicht während der Mahlzeiten. Sobald wir gebetet hatten, stand sie wieder auf, um etwas aus dem Kühlschrank zu holen, um Schüsseln herumzureichen oder uns etwas auf den Teller zu legen. Wenn wir unser Kuchenstück aufgegessen hatten, tat sie uns sofort ein zweites (und dann ein drittes usw.) auf – da hatten wir kaum eine Wahl. Sie selbst aß kaum etwas, das fiel mir aber erst später auf, als ich selbst erwachsen war. Die Oma war immer in Bewegung, immer fleißig, immer auf das Wohl aller anderer bedacht – und mein Opa war immer voll des Lobes für seine Frau.

In mein Poesie-Album schrieb meine Oma: „Willst Du im Leben froh und glücklich sein, so lass Jesus in Dein Herz hinein.“ Das war ihr Gebet für mich und für alle ihre Lieben. Das war für meine Oma ihr Leben lang das Wichtigste: Jesus nachfolgen, ihn lieben, und alle Menschen mit in diese Liebe hineinnehmen.

Meine Oma wusste gut Bescheid über das, was im Leben ihrer Kinder, Schwiegerkinder und Enkel vor sich ging. Sie war von Fotos all ihrer Lieben ständig umgeben. Normalerweise telefonierten wir einmal wöchentlich mit den Großeltern – das war uns manchmal lästig und teilweise wussten wir gar nicht, was wir erzählen sollten, aber im Nachhinein bin ich dankbar dafür, dass Oma und Opa so einen Anteil an unserem Leben haben wollten, dass wir ihnen so wertvoll waren. Ich weiß, dass sie jeden Tag für jede und jeden Einzelnen von uns beteten (immerhin 12 Enkelkinder!) und dass sie auf diese Weise ein großer Segen für uns waren.

Einmal war meine Mama im Krankenhaus und es ging ihr nicht gut. Als ich mit meiner Oma telefonierte, war sie voller Mitgefühl und sagte wortwörtlich: „Da seid ihr jetzt alle recht down, gell?“ Damit hat sie mich wirklich überrascht, denn englische Worte kamen ihr eigentlich nie über die Lippen (und dem Opa schon gar nicht)!

Als Kind waren mir all diese Dinge nicht wirklich bewusst. Ich fuhr schon gern in den Ferien zu den Großeltern und fühlte mich bei ihnen wohl – aber wie wichtig sie für mich waren, erkannte ich erst später. Die Erinnerungen an meine Oma und meinen Opa, die vielen Wochen, die wir bei ihnen verbrachten, gehören zu meinen glücklichsten Kindheitsmomenten, und ich verdanke ihnen sehr viel.

Ja, ich lebe mein Leben in vielen Punkten ganz anders als meine Großeltern, und habe inzwischen auch einige Ansichten, die mein Opa bestimmt nicht gutheißen würde. Aber trotzdem haben mich die beiden sehr in meinem Glauben geprägt. Und ich weiß, dass trotz aller Meinungsunterschiede die Liebe zu mir als ihrer Enkeltochter immer noch größer wäre.

Vor fast zwei Wochen ist meine Oma verstorben.

Wir wussten schon länger, dass uns nicht mehr viel Zeit mit ihr blieb – sie hatte ein hohes Alter erreicht, und eine schwere Erkrankung ließ sie noch einmal schneller altern. In ihren letzten Monaten ging es ihr stetig schlechter und wir wünschten ihr alle Erleichterung und Erlösung.

Ich bin dankbar, dass ich sie noch einmal sehen, sprechen und umarmen konnte, als es ihr noch einigermaßen gut ging. Sie konnte meinen Kleinsten kennenlernen, ihn auf den Arm nehmen, und meinen beiden Großen einen Haufen Süßigkeiten schenken, so wie sie es bei mir und meinen Geschwistern getan hatte.

Uns war beiden klar, dass dies das letzte Mal war, dass wir uns auf dieser Erde sahen. Das machte den Besuch bittersüß – der Abschied war, bei aller Schwere, von sehr viel Dankbarkeit und Liebe geprägt. „Das nächste Mal sehen wir uns im Himmel“, sagte sie, und das ist doch eine ganz wunderbare Aussicht!

Danke, meine liebe Oma, für alles!

Es ist spannend, sich einmal hinzusetzen und all diese kleinen Erinnerungsstücke aufzuschreiben. Wenn man erst einmal damit anfängt, fallen einem mehr und mehr davon ein: kleine Momente, Gesten, Worte, Emotionen. Sie scheinen unbedeutend, nicht gerade weltbewegend, und doch sind sie für mich ein Schatz.

Diese teils winzigen Gedächtnissplitter gehören zu meinem Leben, sind ein Stück von mir. Sie können mir helfen, mich selbst besser zu verstehen: Wo komme ich her?  Sie können auch dazu beitragen, Frieden zu schließen mit dem, was war. Und sie sind wertvoll nicht nur für mich, sondern auch für meine Kinder, die immer gerne Geschichten „von früher“ hören.

Das Schreiben öffnet eine Tür in die Vergangenheit – ich betrete einen Raum der Erinnerung und finde dort weitere Türen, die mich immer weiter zurückführen.

Das Schreiben ist wie eine Reise, für die ich nichts weiter brauche, als Stift und Papier.

Und jetzt du:

Vielleicht ist das ja auch mal eine Idee für dich:

Nimm dir dein Tagebuch zur Hand (oder auch einfach nur ein Blatt Papier) und schreibe auf, was dir alles über deine Oma einfällt. Woran erinnerst du dich?

Schreib alles auf, auch die kleinen, unscheinbaren Details: Gerüche, Lieder, Gespräche, Geschmacksexplosionen, Gefühle.

Vielleicht kannst du schreibend Schätze bergen – scheinbar Vergessenes wieder zurück ans Licht holen.

Vielleicht kommt dabei auch Schweres, Schmerzhaftes zum Vorschein. Erinnerungen können auch weh tun, können alte Wunden aufreißen. Vielleicht hast du deine Oma nie kennengelernt, vielleicht war sie ein schwieriger Mensch – jemand, der dich sehr verletzt hat. Auch darüber kannst du schreiben. Oder du schreibst über eine Person, die für dich so wertvoll war/ist, wie meine Oma für mich.

Es ist dein Leben, deine Erinnerung – du bist es wert!

 

Dieser Beitrag soll der erste einer kleinen Reihe sein: Unter der Überschrift “Heute schreibe ich über…” werden alle möglichen Texte entstehen – nicht nur aus meiner Feder, sondern hoffentlich auch aus deiner!

“Eine Einladung zum Schreiben” würde Doris Dörrie das nennen; fühl dich also bitte sehr herzlich eingeladen, etwas Eigenes aus meinem kleinen Vorschlag zu schaffen!

 

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