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Plötzlich Lehrerin

Ok, ganz so plötzlich kam das natürlich nicht – schließlich war ich schon länger auf der Suche nach einem neuen Erwerbsjob und habe seit Mai an meiner jetzigen Schule hospitiert – aber am Ende war es für mich doch ein Sprung ins kalte Wasser. Zwei Wochen des neuen Alltags liegen nun hinter mir, und ich möchte euch gern ein bisschen mitnehmen, wie das so ist und was das für mich und uns als Familie bedeutet.

Zunächst einmal für alle, die es nicht so richtig mitbekommen haben: Seit Beginn dieses Schuljahres bin ich Klassenlehrerin an einer Berliner Grundschule, und zwar für die Willkommensklasse. Das bedeutet, dass ich Kinder unterrichte, die keine bis kaum Deutschkenntnisse haben und auf den Unterricht in der “Regelklasse” vorbereitet werden sollen. Die Kinder kommen aus vielen verschiedenen Ländern und haben ganz unterschiedliche Hintergründe und Voraussetzungen; die meisten haben keinen Kindergarten besucht, viele von ihnen sind aus ihren Heimatländern geflohen und leben in einer Geflüchtetenunterkunft. Die Lerngruppe ist deutlich kleiner als eine normale Grundschulklasse; dafür gibt es bei uns aber eine sehr viel stärkere Fluktuation (immer wieder verlassen Schüler:innen die Gruppe, dafür stoßen neue dazu) und auch eine größere Bandbreite an Muttersprachen, Leistungsniveaus und individuellen Herausforderungen, die eine andere Art von Unterricht erforderlich machen. Es ist eine schöne Aufgabe, die mich mit Stolz erfüllt; gleichzeitig bringt sie mich auch sehr an meine Grenzen.

Zur Zeit arbeite ich in Teilzeit – ich bin vier Tage in der Woche an der Schule und habe einen Tag unterrichtsfrei. Diesen Tag brauche ich auch sehr und bin dankbar, dass es so organisiert werden konnte!

Ja, was brachte und bringt dieser neue Job nun so alles mit sich:

Viele Tränen…

Ich bin sowieso nah am Wasser gebaut, aber in den Tagen vor Schulbeginn habe ich wirklich extrem viel geweint. Es ging sogar soweit, dass ich morgens weinend aus einem Traum erwachte… Ich habe mir die Tränen aber absolut zugestanden – es war wirklich super viel, und das Weinen half mir, einen Teil der heftigen Anspannung abzubauen.

Auch den ersten Schultag selbst verbrachte ich zu einem guten Teil heulend. Kaum betrat ich nach dem Unterricht wieder unsere Wohnung, ging es auch schon los… Dabei war gar nichts Schlimmes passiert. Es war einfach “nur” sehr anstrengend und eben neu gewesen.

An unserem jüngsten Familienmitglied ging der ganze Stress auch nicht spurlos vorbei. Plötzlich wollte er gar nicht mehr so gern in die Kita gehen, weinte jeden Morgen bitterlich beim Abschied – und auch sonst mag er sich gerade nicht gerne von mir trennen. Ich verstehe ihn – mir geht es genauso.

Inzwischen ist es etwas besser geworden. Die Abschiede von meinem kleinen Sohn sind nicht mehr ganz so schlimm, und auch ich weine seltener. Es wird.

Viel Adrenalin…

Wie sehr ich auf Adrenalin war, merkte ich unter anderem daran, dass ich mich nicht bei meinem kleinen Sohn ansteckte (obwohl er mir tagelang liebevoll ins Gesicht hustete), dass ich morgens um 4 Uhr die Augen aufschlug und hellwach war (obwohl ich erst gegen 11 ins Bett gegangen war und lange nicht einschlafen konnte), dass ich trotzdem keinerlei Müdigkeit verspürte und mich stattdessen die ganze Zeit wie unter Strom fühlte. Mein Gehirn ratterte pausenlos, ständig dachte ich an die Schule, an meine unzähligen To-Dos, an Ideen für den Unterricht, an Probleme, die ich noch lösen musste – ich kam überhaupt nicht zur Ruhe.

Das war einerseits gut: Ich wurde (wider Erwarten) nicht krank und hatte unnormal viel Energie – andererseits wusste ich, dass mein Pensum alles andere als gesund war und dass ich dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten würde. Außerdem war es nicht schön, immerzu nur an die Schule zu denken! Die einzigen Momente, in denen ich abschalten und etwas zur Ruhe kommen konnte, waren die, in denen ich auf meiner Sportmatte war und ein paar Übungen machte. Die Bewegung tat mir so gut und war in der ersten Schulwoche mein kleiner, kostbarer Ruhepol.

Viel Dankbarkeit…

Ich hatte befürchtet, dass mir keine Kraft mehr für meine eigenen Kinder bleiben würde, nachdem ich den ganzen Vormittag von vielen anderen Kindern umgeben war. Diese Sorge erwies sich als unbegründet – ich erlebe im Gegenteil, dass meine drei Kinder mir sehr viel Kraft schenken, dass ich mich jeden Tag so sehr auf sie freue und dass ich einfach nur dankbar für sie bin!

Überhaupt bin ich dankbar: Es geht uns so gut! Ich sehe, wie schwer es viele Familien, viele Kinder haben, wie viel Leid und Not es gibt, hier bei uns, in unserem direkten Umfeld, und das macht mich demütig. Wir haben es nicht “verdient”, dass es uns besser geht, wir haben nichts dafür getan, hier in diesem Land als deutsche Staatsbürger in Friedenszeiten geboren worden zu sein.

Ich sehe meine Kinder an, und mir wird bewusst, wie behütet sie aufwachsen dürfen, welche Privilegien sie haben, welche Türen ihnen offenstehen. Dafür bin ich dankbar, und gleichzeitig tut es weh, zu wissen, dass es auf dieser Welt den wenigsten Kindern so gut geht.

Viel Neues – und Altvertrautes…

In den ersten Tagen war alles neu: Der Weg zur Arbeit, das Lehrerzimmer, die Kolleg:innen, die ganzen internen Abkürzungen und Kürzel, die Kinder, der Kopierer, der Schulhof und die Pausenaufsicht, die vielen Formulare, die schulischen Abläufe, die Unterrichtsvorbereitung… So viele Informationen mussten aufgenommen und verarbeitet werden, und ich werde damit wohl auch noch eine Weile beschäftigt sein.

Es ist über zehn Jahre her, dass ich vor einer Lerngruppe gestanden habe – und das waren alles Erwachsene an einer Sprachschule. Dass ich Kinder unterrichtet habe, ist sogar noch viel länger her. Trotzdem fühlt sich vieles schon jetzt wieder vertraut an: Ich erinnere mich an vieles, was ich im Studium und im Unterrichtspraktikum gelernt habe und kann besonders in der Unterrichtsvorbereitung wieder daran anknüpfen.

Und auch die letzten Jahre haben mich (ohne, dass ich es zu dem Zeitpunkt wusste) gut auf meinen neuen Job vorbereitet: Meine beiden Großen sind schon “erfahrene” Grundschüler, ich habe sie monatelang im Home Schooling begleitet, und mich dabei von einigen sehr guten Accounts auf Instagram inspirieren und coachen lassen. All das kommt mir jetzt zu Gute und ich bin sehr dankbar dafür!

Viele lange Abende…

Wenn die Kinder am Abend (endlich) in ihren Betten liegen, geht es für mich direkt an den Schreibtisch: Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten. Das macht mir einerseits Spaß – da gibt es ja so viele tolle Methoden und Materialien! – aber andererseits ist es auch sehr zeitaufwändig. Im Moment habe ich das Gefühl, dass mein Leben fast nur noch aus Schule besteht, und gerade am Abend möchte ich gerne auch mal wieder was anderes machen…

Ich weiß, es wird mit der Zeit einfacher, ich werde routinierter und meine Vorbereitung noch effizienter. Der Raum, den die Schule einnimmt, wird mit den Monaten kleiner werden – zumindest ist das meine Hoffnung. Ich bringe mich gern voll ein, mit all meinen Ideen und Gaben, mit Liebe und Zeit und Kraft, aber ich muss da auch noch einen guten Weg für mich finden, damit ich mich in alldem nicht verliere.

Bis es soweit ist, verbringe ich meine Abende eben am Schreibtisch, und nutze auch zwischendurch die Zeitfenster, die sich mir bieten – zum Beispiel, wenn ich mit meiner Tochter auf dem Skatepark bin…

Viele neue Namen und Gesichter…

Im Kollegium bin ich sehr herzlich empfangen worden – noch ein Grund, dankbar zu sein! Auch wenn ich die meiste Zeit allein in meiner Klasse bin, so hilft es doch sehr, unterstützende Kolleg:innen hinter mir zu wissen. Ich kann mich mit allen Fragen an mindestens eine Person wenden, und tue das auch sehr ausführlich; gleichzeitig haben mir schon verschiedene Kolleginnen erzählt, dass es ihnen am Anfang auch so ging wie mir, dass es allen so geht, und dass es mit der Zeit besser wird.

Wir sind ein Team an unserer Schule, alle bringen sich engagiert zum Wohl der Kinder ein, und das schätze ich wirklich sehr.

Ich hatte mich sehr darauf gefreut, zum ersten Mal in meinem Berufsleben Kolleg:innen zu haben, war aber auch etwas unsicher, wie das so sein würde… wie würde ich bei den anderen ankommen, was würden sie über mich denken? Immer wieder macht mir doch der alte Glaubenssatz zu schaffen, dass ich einfach nicht “mögenswert” wäre… Gott sei Dank fühle ich mich wirklich wohl und darf erleben, dass wir alle an einem Strang ziehen.

Viel Organisieren, Fragen, Warten und Ungewissheit aushalten…

Am liebsten möchte ich immer genau wissen, was auf mich zukommt – bis ins kleinste Detail! Von diesem Wunsch (oder doch eher: Bedürfnis) muss ich mich jedoch verabschieden. Obwohl wir an den Vorbereitungstagen vieles geschafft und geklärt hatten, blieb vieles bis zum Schluss offen: Wie viele (und welche) Kinder genau in der Willkommensklasse sein würden, zum Beispiel. Mein Klassenzimmer war noch nicht vollständig eingerichtet und konnte auch das Smartboard nicht nutzen.

Es fiel mir schwer, diese Ungewissheit auszuhalten und zu akzeptieren, dass manches eben noch nicht geklärt war, dass so vieles nicht in meiner Macht steht! Ich bin abhängig von internen Abläufen, von langsam mahlenden Behördenmühlen, und kann oft nichts anderes tun, als abzuwarten.

Das ist definitiv ein Lernfeld für mich: Mein Bestes geben, und gleichzeitig loslassen, was ich nicht beeinflussen kann. Gestalten, was in meinen Möglichkeiten liegt, und hinnehmen, was sonst noch auf mich zukommt.

Die Wiederentdeckung einer Superkraft

Im Moment bin ich wirklich dankbar für meine Superkraft – denn sonst würde ich noch viel länger an meiner Unterrichtsvorbereitung sitzen (und das wäre eigentlich gar nicht möglich bei “nur” 24 Stunden am Tag!): Ich bin schnell.

Ich besitze eine gute Auffassungsgabe und begreife schnell, was los ist. Ich habe eigentlich immer sofort eine Idee, wie ich etwas machen möchte. Und ich bin schnell in der Umsetzung: kann schnell denken, schnell tippen, schnell zeichnen, schnell Dinge finden, schnell entscheiden.

Und meine Schnelligkeit ist keine Schludrigkeit – ich würde eher sagen, ich bin effizient. Mein Verhältnis von Aufwand zu Ergebnis ist ziemlich gut.

Das kommt mir gerade sehr zugute.

Danke für diese Superkraft!

Und: Viel Ermutigung und Getragen-sein im Gebet

Aber was mich gerade wirklich durch meine Tage trägt, ist das Gebet. Ich weiß, dass in den vergangenen Tagen und Wochen viele Menschen (nicht nur in meiner Familie, Gemeinde und im Freundeskreis!) für mich gebetet haben und noch immer beten. So viele denken an mich, fragen nach, ermutigen mich. Das ist unendlich wertvoll und macht einen Riesenunterschied!

Immer wieder darf ich auch erleben, wie Gott mich auf verschiedene Art und Weisen ermutigt und daran erinnert, dass er bei mir ist. So stand z.B. an meinem Geburtstag (einen Tag vor Schulbeginn) Folgendes in den Losungen:

“Der Herr, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner Hände.” (5. Mose 2,7)

“Von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.” (Johannes 1,16)

“Darauf so sprech ich Amen und zweifle nicht daran, Gott wird es alls zusammen in Gnaden sehen an, und streck nun aus mein Hand, greif an das Werk mit Freuden, dazu mich Gott beschieden in meim Beruf und Stand.” (Georg Niege)

Das hat so gut gepasst!

Auf Instagram fand ich bei Jess Connolly vier positive Affirmationen, die mir ebenfalls sehr geholfen haben:

  1. God is with me and He is for me.
  2. Nobody expects me to be perfect.
  3. This is supposed to be fun.
  4. I’m gonna do my best and that is all I can do.

Die richtigen Worte zur rechten Zeit. Immer wieder sage ich mir diese Sätze und fühle mich beruhigt, bestärkt.

Wie froh bin ich, dass ich mich in alledem gesehen und geliebt und getragen wissen darf. Ich bin nicht allein, unser Gott ist bei mir. In jedem Moment. Auch wenn ich mich den ganzen Anforderungen oft nicht gewachsen fühle, so bin ich doch gewiss, dass ich richtig bin, an der Schule, in der Willkommensklasse. Für die nächste Zeit ist dies mein Weg.

Ach, es macht mich gerade wirklich sehr glücklich, dass ich es geschafft habe, diese Zeilen zu schreiben, diesen Blogpost fertig zu stellen! Das macht mir Hoffnung, dass es in meinem Leben auch noch Platz für andere Dinge gibt als die Schule 😉

Vielen Dank fürs Lesen – es ist schön, dass du da bist und mich auf meinem Weg begleitest!

Ganz liebe Grüße und bis bald, hoffentlich ♥

deine Rebekka

 

PS: Die beiden ersten Bilder des Beitrags stammen übrigens aus meiner Zeit in Kenia (2005/2006), als ich zum ersten Mal Lehrerin an einer Grundschule war! Verrückte Zeiten!

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6 Kommentare

  • Friederike

    Liebe Rebekka,

    ich mag dir auch noch kurz ein paar Worte da lassen. Danke für den ehrlichen Einblick in deinen Schul-Start! Klingt ganz schön anstrengend… Aber auch so, als wärst du gerade genau an der richtigen Stelle. 🙂 Ich wünsch dir einen langen Atem, Geduld und immer wieder auch ganz viel Freude an dieser schönen und wichtigen Arbeit. Sei gesegnet!

    Friederike

  • Barbara

    Alles Gute für den Wiedereinstieg ins Schulleben! Auch nach mittlerweile ein paar Jährchen Berufserfahrung empfinde ich den Schuljahresbeginn oft wie einen Tsunami und ich frage mich, wann das endlich besser wird… 🙂 Achte gut auf dich! Liebe Grüße, Barbara

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