Mein Haus, mein Auto, mein Boot…
Es war nie mein Lebenstraum, in einem eigenen Haus mit Garten zu wohnen, die Familienkutsche im Carport nebenan. Ich dachte immer, dass ich so etwas nicht brauche, dass eine Familie das nicht braucht. In meiner Kindheit hatten wir zwar ein Auto (einen schönen roten VW-Bus – wir waren untröstlich, als er gestohlen wurde, samt unserer Lieblingskassetten!), wir wohnten aber immer zur Miete und über einen nennenswerten Garten verfügten wir auch nicht. Wir lebten aber mehrere Jahre auf dem Dorf, und die ganze Umgebung war unser Garten, samt Feldern, Fluss mit Insel, Wald, Brücken und Wegen. Der reinste Abenteuerspielplatz.
Wir zogen, bedingt durch den Beruf meines Vaters, mehrmals um und lebten uns jedes Mal schnell am neuen Wohnort ein – trotzdem waren wir in gewisser Weise immer die „Dazugezogenen“ und gehörten nie so richtig dazu, das war jedenfalls mein Gefühl. Jedes Zuhause war ein Zuhause auf Zeit, es war nicht wirklich „unseres“ und irgendwie war das ok. Wir hatten uns, Mama, Papa und vier Kinder, und ich kann nicht sagen, dass mir etwas gefehlt hat. Ein eigenes Haus mit Garten jedenfalls nicht.
Jetzt habe ich selbst Kinder. Wir leben in einer großen Stadt, in einem recht hässlichen Wohnblock mit vielen Nachbarn, einer viel befahrenen, lauten Straße ums Eck und einem Balkon, der groß genug ist, um zu viert darauf zu frühstücken. Wir haben kein Auto, kein Wohneigentum, keinen Carport (wozu auch), kein Grundstück mit Zaun drumherum, keinen Garten. Und ich beginne mich zu fragen, ob wir das alles (abgesehen vielleicht vom Carport und dem Zaun) nicht eigentlich doch brauchen. Vor allem jetzt, wo unsere Familie noch einmal wächst und wir in der Wohnung zusammenrücken müssen…
Im Urlaub haben die Kinder „Stroh zu Gold spinnen“ gespielt. Mit dem so gewonnenen Gold wollten sie ein Auto für unsere Familie kaufen. Sie fanden es ziemlich toll und bequem, einfach ins Auto steigen und überallhin fahren zu können (statt, wie sonst, zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein zu müssen). Das gab mir einen kleinen Stich – obwohl wir in Berlin definitiv kein Auto brauchen, um von A nach B zu kommen. Die Stadt ist ohnehin viel zu voll von Autos, die alles verstopfen und verpesten, da müssen wir nicht noch eins hinzufügen. Und dann die Kosten, die Parkplatzsuche, die Reparaturen… dem Verstand ist es klar…
Abgesehen von dem großen Wohnblock, in dem wir leben, gibt es in unserer Nachbarschaft fast nur Einfamilienhäuser mit Garten. Wir gehen jeden Tag an ihnen vorbei, und die Kinder staunen über die 1A-Kletterbäume und Schaukeln, über den immergrünen Rollrasen und die Sitzlandschaften. Das wollen sie auch haben! „Können wir nicht bei denen einziehen, Mama?“ Diese Frage wird mir regelmäßig gestellt und ich weiß manchmal nicht, wie ich noch darauf antworten soll. Meistens sage ich, dass wir es doch schön haben in unserer Wohnung: Die Kinder haben ein großes Zimmer. Dadurch, dass wir so weit oben wohnen, ist es immer hell und luftig bei uns. Wir haben zwei Bäder (bzw. ein Bad und eine zusätzliche Toilette, was aber trotzdem sehr praktisch ist), einen Balkon, ein kleines Arbeitszimmer, und wir fühlen uns wohl. Wir haben es doch schön. Oder etwa nicht?
Ich möchte den Kindern vermitteln, dankbar zu sein für das, was wir haben, anstatt zu jammern und zu klagen über das, was wir nicht haben. Wir sind so reich beschenkt und haben keinen Grund, unzufrieden zu sein. Eigentlich. Es mangelt uns an nichts – im Gegenteil!
Wir können reisen, mindestens einmal im Jahr (wenn wir dann mal wieder dürfen…), wir gehen hin und wieder essen (oder bestellen etwas…) und wenn die Kinder etwas brauchen, können wir es für sie kaufen. Aber ein eigenes Haus? Bei den steigenden Immobilienpreisen in Berlin sehen wir nicht, wie das gehen soll. Und wollen wir uns wirklich so stark an einen Ort binden, uns eine so hohe finanzielle Belastung aufbürden – nur, weil uns suggeriert wird, dass „man“ ein eigenes Haus braucht, dass Kinder einen Garten zum Spielen brauchen?
Es ist schon so – in unseren Familien leben fast alle im eigenen Haus, oder sind gerade dabei, zu bauen. Ein Auto haben sowieso alle (oder sogar zwei), davon mal abgesehen. Da sind wir schon ziemliche Exoten! Berliner halt… Auch die Familien, deren Kinder die gleiche Schule besuchen wie unsere Kinder, wohnen in der großen Mehrheit im eigenen Haus mit Garten (und Carport). Wenn ich darüber nachdenke, spüre ich, wie Unzufriedenheit in mir hochkriecht. Ein Gefühl der Unzulänglichkeit und des Versagens. Machen wir doch etwas falsch? Können wir vielleicht nicht richtig mit Geld umgehen? Hätte ich doch lieber „ganz normal“ auf Lehramt weiterstudieren und das Referendariat machen sollen? Dann sähe es finanziell bei uns sehr viel besser aus. Haben wir unsere Kinder zu früh bekommen? (Aber wer weiß, ob es ein paar Jahre später überhaupt noch mit Kindern geklappt hätte…) Und was denken die anderen über uns? Sind wir arm? Und: Sollten wir unseren Kindern nicht mehr bieten? Es wäre doch so schön für sie, den ganzen Tag im Garten spielen und toben zu können. Und für mich auch – einfach die Tür aufmachen und „raus mit euch!“, während ich auf der Terrasse sitze und arbeite. Diesen Luxus haben wir tatsächlich nicht, und gerade in letzter Zeit, im Corona-Jahr, habe ich mir ihn oft gewünscht.
Trotzdem gönnen wir uns auch ein bisschen Luxus: Wie gesagt, wir machen (normalerweise) einmal im Jahr eine „richtige“ Reise. Und während mein Mann arbeitet, am anderen Ende der Stadt, bin ich für die Kinder da, wann immer sie mich brauchen. Das ermöglicht mir meine Selbstständigkeit. Wenn beide Eltern arbeiten gehen, ist die Kinderbetreuung und das Home Schooling in diesen Corona-Zeiten für viele Familien eine Zerreißprobe – auch für uns sind sie natürlich anstrengend (besonders für mich…), aber keine organisatorische Herausforderung. Das ist Luxus.
Wir haben Zeit. Wir können uns kleine Freuden leisten: die wirklich guten Erdbeeren von Bauer Karl, Ausflüge ins Umland, neue Bücher und ein gutes Fahrrad zum Geburtstag. Wir spenden. Wir haben unsere komplette Baby- und Kleinkindausstattung weiterverschenkt. Wir können großzügig sein.
Ich weiß, dass andere Familien auf viele dieser Dinge verzichten, weil sie alle finanziellen Mittel in ihr Haus mit Garten stecken. Weil das ihr Lebenstraum ist, und der ist ihnen viele Opfer wert. Auf mich trifft das so aber wahrscheinlich nicht zu. Tief innen sind mir andere Dinge wichtiger: das Arbeiten in meinem Traumjob, die guten Erdbeeren, eine schöne Reise.
Teilweise ist es aber auch so, dass die Motivation keine intrinsische, sondern eine von außen vorgegebene ist, eine (gefühlte) Erwartung der Umwelt: Ein Haus mit Garten und ein schönes Auto sind doch ein „Muss“! Wer bist du denn schon, ohne? Man möchte doch den Kindern etwas bieten: ein schönes Zuhause, Komfort, Sicherheit, Freiheit, Mobilität. „Alle“ haben Eigentum, warum also nicht auch ihr?
In den Medien, sei es im Fernsehen oder in Magazinen oder auch auf Instagram, werden Häuser und Gärten und deren Ausstattung als begehrenswert und gleichzeitig vollkommen „normal“ dargestellt, als etwas, das man als Familie einfach hat und braucht. Natürlich nicht irgendein Haus! Das Objekt der Begierde ist ganz auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten, geschmackvoll und hochwertig eingerichtet und ein Hort des Friedens und der Freude. Mietwohnungen werden sehr viel seltener so dargestellt und hergezeigt – zumindest in meiner Wahrnehmung. Das geht nicht spurlos an mir vorbei, und auch nicht an meinen Kindern (die ja an sich noch kaum Medien konsumieren – bei ihnen ist es hauptsächlich unsere Nachbarschaft, die diesen Wunsch bei ihnen befeuert).
Dabei hängt es so sehr von den Lebensumständen ab, was man „braucht“ und was für einen Sinn ergibt. Auf dem Land ist man von einem eigenen Auto abhängig und es gibt – je nach Region – genug (bezahlbare) Baufläche für ein Einfamilienhaus. Manche erben auch ein Haus oder leben mit ihren Eltern und Großeltern unter einem Dach. Da ergibt das Wohneigentum sich ganz natürlich. Für uns gelten diese Bedingungen aber nicht: Wir leben in einer immer teurer werdenden Großstadt und es gibt erst mal auch keinen Grund für uns, von hier wegzuziehen: Mein Mann hat einen guten Job, wir haben Freunde und ein bisschen Familie in der Stadt, unsere Gemeinde, unseren Lebensmittelpunkt. Wir mögen Berlin (auch wenn einige sich das nicht vorstellen können) und betrachten es als unser Zuhause.
Brauchen wir also ein eigenes Haus? Definitiv nein. Wir haben ein Dach über dem Kopf, (noch) genug Platz in unserer Wohnung, ein schönes, gemütliches Zuhause, das Gästen jederzeit offensteht (wenn nicht gerade Corona und so). Es geht uns gut.
Wollen wir ein eigenes Haus? In gewisser Hinsicht, ja. Es würde uns mehr Platz bieten, und die Vorstellung, die Kinder ganz einfach raus zum Spielen in den Garten schicken zu können, ist verlockend. Ja, das wäre für mich definitiv das Beste daran! Wenn ich aber an die Kosten denke, an die Verantwortung, die Verpflichtungen, das Risiko, die Opfer, die wir bringen müssten – dann nein. Ich bekomme schon ein bisschen Angst, wenn ich nur daran denke. Es wäre ein großer Vertrauensschritt.
Vertrauen – das ist das Stichwort.
Ich möchte unserem himmlischen Vater vertrauen, auch in diesem Lebensbereich. Vertrauen, dass er uns mit allem versorgt, was wir brauchen.
Das tut er schon jetzt, jeden Tag – gerade in der Krise haben wir es so sehr erlebt – und meine Aufgabe ist es, dass die Dankbarkeit in meinem Herzen immer mehr Raum einnimmt. Er wird uns weiter versorgen, auch in Zukunft. Ich bin eingeladen, ihm zu vertrauen, und verantwortungsvoll mit dem umzugehen, was Er uns schenkt.
Es ist mir lange Zeit nicht in den Sinn gekommen, Gott um ein Haus für uns zu bitten. Vielleicht kam mir das insgeheim wie ein „unfrommer“ Wunsch vor, als wäre ich undankbar für unsere Wohnung und alles, was er uns schon geschenkt hat. Es gibt doch deutlich größere und dringendere Gebetsanliegen!
Und doch – Er ist mein Vater und ich darf ihm alles sagen, was mir auf dem Herzen liegt. Ich darf ihn um alles bitten, auch um ein Haus mit Garten.
Das tue ich inzwischen auch, allerdings bete ich nicht (immer) konkret für ein Haus. Ich bete dafür, dass Gott uns zur richtigen Zeit mit einem Zuhause versorgt, das uns allen genug Platz bietet (denn diese Wohnung wird uns auf absehbare Zeit doch zu klein) – auch mir für meine Arbeit. Ich bete, dass mein kreatives Business immer besser läuft und ich mich nicht dazu „gezwungen“ fühlen werde, meinen Traum aufzugeben für einen Angestelltenjob, nur weil ich da mehr verdiene. Ich bete, dass Gott uns den Mut schenkt, Schritte im Vertrauen auf Ihn zu gehen, wenn sie anstehen, und dass er uns dankbare Herzen gibt, die zufrieden sind mit dem, was sie jetzt haben.
Und ich versuche, weniger nach links und rechts zu schauen – nicht so sehr auf das, was andere haben. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen, und es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das wird mir mehr und mehr bewusst.
„Stroh zu Gold spinnen“ – das ist eine Kunst, die ich von meinen Kindern lernen möchte. Denn am Ende ist ihnen ein eigenes Auto oder ein Haus mit Garten doch gar nicht so wichtig. Sie können aus allem etwas Besonderes machen, sich am Kleinen freuen, und im wahrsten Sinne Alltagsstroh in wertvolles Gold verwandeln.
Hauptsache, sie können spielen und ihrer Fantasie freien Lauf lassen – das geht auch sehr gut in der Stadt mit ihren tollen Spielplätzen, Riesenbaustellen zum Gucken und ratternden U-Bahnen, mit Parks und Wolkenkratzern und Museen. Hauptsache, wir sind alle zusammen und verbringen Zeit miteinander – dazu braucht es nicht viel, und schon gar kein „Wohneigentum“.
♥
Ein Kommentar
Iris
Liebe Rebekka
Auch ich bete für ein neues Zuhause zur richtigen Zeit. Wir bewohnen im Moment das Erdgeschoss eines alten Zweifamilienhaus- Hauses. Den dazugehörigen grossen Garten benutzen wir ganz alleine. Das Haus wird in mehr oder weniger absehbarer Zeit verkauft. Es sollen auf dem Grundstück Überbauungen für Wohnungen mit gehobenem Standard entstehen.
Auch ich bin auf dem Dorf aufgewachsen im alten Haus meiner Elternund kenne das. Unsere Welt hat nicht am Gartenzaun aufgehört. Wir haben am Rhein gespielt, im Wald und das ganze Dorf unsicher gemacht. Als Kind wollte ich immer in einem Wohnblock wohnen, wie meine Freundin. Alles war dort so aufgeräumt und organisiert und nicht chaotisch wie bei uns:-)
Ich liebe auch heute noch den charakteristischen Geruch nach frisch gewaschener Wäsche, der einem aus der Waschküche entgegenduftet, bei manchen Wohnblocks die man betritt.
MeineTochter würde übrigens auch gerne in einem Wohnblock wohnen.
Ich glaube ganz bestimmt, dass eine glückliche Kindheit nicht davon abhängt ob man in einer Mietwohnung oder im Eigenheim mit Garten aufgewachsen ist.
Vielleicht gibt es bei euch Schrebergärten, die man mieten kann?
So war das bei meinen Grosseltern und meiner Tante. Sie lebten in einer deutschen Grosstadt und hatten aneinander grenzende Schrebergärten gepachtet. Es sind unvergessliche Sommertage die wir dort in der Ferien verbracht haben.
Liebe Grüsse
Iris
PS. Leider kommt noch keine Email in der ich über Post von dir informiert werde🤷🏼♀️